Höferecht in Deutschland

Das Höferecht ist ein Sondererbrecht für landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland, das der Erhaltung leistungsfähiger landwirtschaftlicher Betriebe in der Hand von Bauernfamilien dient. Es regelt die Übergabe eines landwirtschaftlichen Betriebs im Erbfall und soll die Zersplitterung landwirtschaftlicher Betriebe verhindern.

Rechtsgrundlagen des Höferechts

Höfeordnung (HöfeO)

Die zentrale Rechtsgrundlage des Höferechts ist die Höfeordnung (HöfeO), die als Bundesgesetz in den norddeutschen Bundesländern Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gilt. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in der britischen Besatzungszone eingeführt und später als Bundesrecht übernommen.

Landesrechtliche Anerbengesetze

In den anderen Bundesländern gelten verschiedene landesrechtliche Anerbengesetze:

  • Baden-Württemberg: Badisches Hofgütergesetz und Württembergisches Anerbengesetz
  • Hessen: Hessische Landgüterordnung
  • Rheinland-Pfalz: Rheinland-Pfälzisches Höfegesetz
  • Saarland: Saarländisches Höferecht
  • Bremen: Bremisches Höfegesetz

Verhältnis zum BGB

Das Höferecht ist Sondererbrecht und geht als solches den allgemeinen erbrechtlichen Vorschriften des BGB vor. Es modifiziert die erbrechtlichen Grundsätze, insbesondere das Prinzip der Erbfolge nach Erbquoten (§§ 1922 ff. BGB).

Begriff des Hofes nach der Höfeordnung

Definition des Hofes

Ein Hof im Sinne der Höfeordnung ist gemäß § 1 HöfeO eine land- oder forstwirtschaftliche Besitzung mit einer Hofstelle, die

  1. einen Wirtschaftswert von mindestens 10.000 Euro hat (Existenzgrundlage),
  2. einem Eigentümer oder Ehepaar gehört (Eigentümerstellung),
  3. im Grundbuch als Hof eingetragen ist (Eintragungsprinzip).

Hofeigenschaften

Die Hofeigenschaft wird durch Eintragung im Grundbuch begründet. Es gibt:

  • Gesetzliche Höfe: Betriebe, die kraft Gesetzes als Höfe gelten
  • Willkürliche Höfe: Betriebe, die auf Antrag des Eigentümers als Höfe eingetragen werden

Wirtschaftliche Anforderungen

Der Hof muss eine wirtschaftliche Lebensgrundlage für den Hofinhaber und seine Familie bieten können (Existenzgrundlage). Dies wird durch den Wirtschaftswert von mindestens 10.000 Euro sichergestellt.

Rechtsprechung zum Begriff des Hofes

BGH Beschluss vom 26.04.2018 Az. BLw 1/18 Der BGH entschied, dass für die Einordnung als Hof die tatsächliche Nutzung des Grundstücks als land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb entscheidend ist und nicht allein die Flächengröße.

OLG Oldenburg Beschluss vom 07.03.2016 Az. 10 W 9/16 Das OLG Oldenburg stellte klar, dass die Eintragung als Hof im Grundbuch konstitutive Wirkung hat und daher für die Anwendbarkeit der Höfeordnung zwingend erforderlich ist.

BGH Beschluss vom 17.11.2017 Az. BLw 4/16 Der BGH entschied über die Wertgrenze von 10.000 Euro als Existenzgrundlage und stellte fest, dass diese im Einzelfall durch einen Sachverständigen zu ermitteln ist.

Die Höfeordnung als Sondererbrecht

Grundprinzipien

Das Höferecht folgt dem Anerbenprinzip, wonach der Hof ungeteilt auf einen der Erben (den Hoferben) übergeht, während die übrigen Miterben mit Abfindungen entschädigt werden. Der Hof soll dadurch in seiner wirtschaftlichen Einheit erhalten bleiben.

Sondervermögen „Hof“

Der Hof bildet ein Sondervermögen, das nicht in den Nachlass fällt und nach besonderen Regeln vererbt wird. Die Trennung zwischen Hofvermögen und sonstigem Nachlass ist grundlegend für das Höferecht.

Rechtsprechung zum Sondervermögen

BGH, Beschluss vom 20.01.2015, Az. II ZB 3/14 Der BGH bestätigte die Sondervermögenstheorie und entschied, dass der Hof ein besonderes Vermögen darstellt, das nach der Höfeordnung abweichend vom allgemeinen Erbrecht vererbt wird.

Die Hoferbenfolge

Gesetzliche Hoferbenfolge

Die Höfeordnung legt in § 6 HöfeO eine besondere Erbfolge fest:

  1. Abkömmlinge des Erblassers (Kinder und weitere Nachkommen)
  2. Ehegatte des Erblassers
  3. Eltern des Erblassers
  4. Geschwister des Erblassers und deren Abkömmlinge

Rangfolge unter mehreren Hoferben

Die Rangfolge unter mehreren gleichrangigen Hoferben richtet sich nach:

  • Ortssitte (z.B. Erstgeburtsrecht oder Jüngstenrecht)
  • Landesübliche Gepflogenheiten
  • Ausbildung und Eignung für die Bewirtschaftung

Testamentarische Bestimmung des Hoferben

Der Erblasser kann durch Testament oder Erbvertrag einen anderen Hoferben als den gesetzlichen bestimmen. Diese Freiheit ist jedoch eingeschränkt: Der Hoferbe muss wirtschaftlich geeignet sein und die Bestimmung darf nicht sittenwidrig sein.

Rechtsprechung zur Hoferbenfolge

BGH Beschluss vom 22.03.2019 Az. BLw 5/18 Der BGH entschied über die Auslegung einer testamentarischen Hoferbenbestimmung und stellte fest, dass bei mehreren gleichrangigen Abkömmlingen die Ortssitte für die Bestimmung des Hoferben maßgeblich ist.

OLG Hamm Beschluss vom 15.01.2020 Az. 10 W 3/19 Das OLG Hamm entschied, dass eine rein emotionale Abneigung gegen einen gesetzlichen Hoferben für die Enterbung nicht ausreicht, sondern objektive Gründe für die mangelnde Eignung vorliegen müssen.

Abfindung der weichenden Erben

Abfindungsanspruch

Die weichenden Erben (nicht zum Hoferben bestimmte Miterben) haben Anspruch auf eine Abfindung in Geld. Die Höhe richtet sich nach dem Hofeswert, der nach § 12 HöfeO mit dem 1,5-fachen des zuletzt festgesetzten Einheitswerts angesetzt wird.

Pflichtteilsergänzungsanspruch

Bei zu geringer Abfindung können weichende Erben unter Umständen einen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen. Dieser richtet sich nach dem tatsächlichen Verkehrswert des Hofes.

Zahlungsmodalitäten

Die Abfindung kann in Raten gezahlt werden, um die Wirtschaftlichkeit des Hofes nicht zu gefährden. Eine Stundung ist möglich, wenn die sofortige Zahlung den Hof erheblich belasten würde.

Rechtsprechung zur Abfindung

BGH, Beschluss vom 28.06.2018, Az. BLw 2/17 Der BGH entschied über die Methode zur Berechnung des Hofeswertes für die Abfindung und stellte fest, dass der 1,5-fache Einheitswert maßgeblich ist, sofern dieser nicht offensichtlich unangemessen ist.

OLG Celle, Beschluss vom 04.02.2016, Az. 7 W 134/15 Das OLG Celle entschied über die Stundung der Abfindung und stellte klar, dass eine Stundung nur möglich ist, wenn die sofortige Zahlung den Hof gefährden würde.

Verfügungen über den Hof unter Lebenden

Hofübergabevertrag

Der Hofübergabevertrag ist die typische Form der vorweggenommenen Erbfolge im Höferecht. Durch ihn wird der Hof zu Lebzeiten des Hofeigentümers auf den Nachfolger übertragen.

Formerfordernisse

Die Hofübergabe bedarf gemäß § 311b BGB der notariellen Beurkundung, da sie eine Grundstücksübertragung beinhaltet.

Altenteilsleistungen

Im Hofübergabevertrag werden oft Altenteilsleistungen vereinbart, die dem Übergeber einen angemessenen Lebensstandard im Alter sichern sollen. Diese können umfassen:

  • Wohnrecht im Altenteilerhäuschen
  • Naturalleistungen (Lebensmittel, Heizung)
  • Bargeldleistungen
  • Pflegeleistungen

Rechtsprechung zu Hofübergabeverträgen

BGH, Urteil vom 14.03.2017, Az. X ZR 130/15 Der BGH entschied über die Auslegung eines Hofübergabevertrags und stellte fest, dass dieser als Vertrag zugunsten Dritter (der weichenden Erben) ausgestaltet sein kann.

OLG Schleswig, Urteil vom 20.09.2018, Az. 3 U 37/17 Das OLG Schleswig entschied über die Rückabwicklung eines Hofübergabevertrags wegen schwerwiegender Pflichtverletzungen des Übernehmers und bestätigte die Möglichkeit eines vertraglichen Rückforderungsrechts.

Typische Verträge im Höferecht

1. Hofübergabevertrag

Der Hofübergabevertrag regelt die Übertragung des Hofes zu Lebzeiten des Eigentümers auf den Nachfolger.

Wesentliche Inhalte:

  • Übertragung des Hofeigentums
  • Altenteilsleistungen für den Übergeber
  • Abfindungen für weichende Erben
  • Rückforderungsrechte bei Vertragsverletzungen
  • Regelungen zum Weiterverkauf (Nachabfindungsklauseln)

Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 29.01.2016, Az. V ZR 92/14 Der BGH entschied, dass eine Nachabfindungsklausel im Hofübergabevertrag, die eine zusätzliche Abfindung der weichenden Erben bei Weiterverkauf des Hofes vorsieht, wirksam ist.

2. Pachtvertrag für landwirtschaftliche Betriebe

Landwirtschaftliche Pachtverträge regeln die Verpachtung eines Hofes oder landwirtschaftlicher Flächen.

Wesentliche Inhalte:

  • Pachtgegenstand und Pachtdauer
  • Pachtzins und Nebenkosten
  • Regelungen zur Bewirtschaftung
  • Instandhaltungspflichten
  • Kündigungsrechte

Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 24.04.2019, Az. XII ZR 124/18 Der BGH entschied über die Wirksamkeit langjähriger Pachtverträge und stellte fest, dass ein landwirtschaftlicher Pachtvertrag auch über die gesetzliche Höchstdauer von 30 Jahren hinaus wirksam sein kann.

3. Gesellschaftsvertrag für Hofgemeinschaften

Gesellschaftsverträge regeln die gemeinsame Bewirtschaftung eines Hofes durch mehrere Personen.

Wesentliche Inhalte:

  • Rechtsform (meist GbR)
  • Einlagen und Beteiligungsverhältnisse
  • Geschäftsführung und Vertretung
  • Gewinn- und Verlustverteilung
  • Ausscheiden von Gesellschaftern

Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 19.07.2016, Az. II ZR 84/15 Der BGH entschied über die Auslegung eines Gesellschaftsvertrags einer landwirtschaftlichen GbR und die Frage, ob ein Gesellschafter auch ohne ausdrückliche Regelung ein Recht auf Übertragung des Hofes hat.

4. Ehevertrag mit landwirtschaftlichem Bezug

Eheverträge mit landwirtschaftlichem Bezug regeln güterrechtliche und erbrechtliche Fragen im Zusammenhang mit einem Hof.

Wesentliche Inhalte:

  • Modifikation des gesetzlichen Güterstands
  • Regelungen zur Hofnachfolge
  • Verzicht auf Pflichtteilsansprüche
  • Regelungen für den Scheidungsfall
  • Ausgleichsansprüche für Mitarbeit auf dem Hof

Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 17.12.2015, Az. XII ZB 340/14 Der BGH entschied über die Wirksamkeit eines Ehevertrags, in dem die Ehefrau eines Landwirts auf Zugewinnausgleich verzichtet hatte, und stellte bestimmte Anforderungen an die Sittenwidrigkeit solcher Vereinbarungen.

5. Altenteilsvertrag

Der Altenteilsvertrag sichert dem Hofübergeber im Alter einen angemessenen Lebensunterhalt.

Wesentliche Inhalte:

  • Wohnrecht im Altenteilerhäuschen
  • Naturalleistungen (Nahrungsmittel, Brennholz etc.)
  • Bargeldleistungen
  • Pflegeleistungen
  • Anpassungsklauseln bei veränderten Umständen

Rechtsprechung: OLG Celle Urteil vom 09.11.2017 Az. 6 U 49/17 Das OLG Celle entschied über die Anpassung von Altenteilsleistungen bei erheblichen Veränderungen der Umstände und stellte fest, dass eine angemessene Anpassung auch ohne ausdrückliche Klausel verlangt werden kann.

Besonderheiten bei der Hoferbfolge

Erbauseinandersetzung

Bei der Erbauseinandersetzung sind die Besonderheiten des Höferechts zu beachten:

  • Trennung zwischen Hofvermögen und sonstigem Nachlass
  • Abfindungsansprüche der weichenden Erben
  • Berechnung des Hofeswertes nach § 12 HöfeO

Nacherbenregelungen

Nacherbenregelungen im Höferecht sind zulässig, müssen aber die Besonderheiten des Höferechts berücksichtigen:

  • Die Nacherbenregelung darf die Bewirtschaftung des Hofes nicht unangemessen einschränken
  • Der Nacherbe muss zur Hofbewirtschaftung geeignet sein

Rechtsprechung zur Hoferbfolge

BGH, Beschluss vom 08.06.2017, Az. BLw 1/17 Der BGH entschied über die Auslegung einer testamentarischen Nacherbenregelung für einen Hof und stellte fest, dass diese nur wirksam ist, wenn sie die Wirtschaftlichkeit des Hofes nicht gefährdet.

Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen

Reform des Höferechts

In mehreren Bundesländern gibt es Bestrebungen zur Reform des Höferechts, um es an moderne landwirtschaftliche Strukturen anzupassen:

  • Anpassung der Wertgrenzen
  • Einbeziehung neuer Betriebsformen (z.B. Erneuerbare Energien)
  • Berücksichtigung veränderter familiärer Strukturen

Strukturwandel in der Landwirtschaft

Der Strukturwandel in der Landwirtschaft stellt das Höferecht vor Herausforderungen:

  • Zunehmende Betriebsgröße
  • Neue Betriebsformen (Biogas, Photovoltaik)
  • Außerlandwirtschaftliches Einkommen der Hofbetreiber

Rechtsprechung zu modernen Entwicklungen

BGH, Beschluss vom 12.05.2020, Az. BLw 3/19 Der BGH entschied über die Hofeigenschaft eines Betriebs mit Biogasanlage und stellte fest, dass auch moderne Betriebsformen unter das Höferecht fallen können, wenn die landwirtschaftliche Tätigkeit überwiegt.

Steuerliche Aspekte des Höferechts

Erbschafts- und Schenkungssteuer

Für landwirtschaftliche Betriebe gelten besondere Regelungen im Erbschafts- und Schenkungssteuerrecht:

  • Begünstigungen nach § 13a ErbStG (Verschonungsabschlag)
  • Bewertung nach dem Ertragswertverfahren
  • Steuerbefreiung bei Fortführung des Betriebs

Grunderwerbsteuer

Bei der Übertragung landwirtschaftlicher Betriebe unter Lebenden kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Befreiung von der Grunderwerbsteuer in Betracht kommen:

  • Übertragung an nahe Angehörige
  • Fortführung der landwirtschaftlichen Nutzung

Rechtsprechung zu steuerlichen Aspekten

BFH, Urteil vom 05.09.2018, Az. II R 24/16 Der BFH entschied über die erbschaftssteuerliche Bewertung eines landwirtschaftlichen Betriebs und stellte fest, dass für die Bewertung der Ertragswert und nicht der Verkehrswert maßgeblich ist.

Ausblick

Das Höferecht ist ein komplexes Sondererbrecht, das besondere Kenntnisse und Erfahrungen erfordert. Die Übertragung eines Hofes zu Lebzeiten oder im Erbfall sollte daher sorgfältig geplant und rechtlich begleitet werden. Eine frühzeitige Regelung der Hofnachfolge unter Berücksichtigung der familiären und betrieblichen Situation ist für die langfristige Sicherung des landwirtschaftlichen Betriebs von zentraler Bedeutung.

Die Zukunftsfähigkeit des Höferechts wird davon abhängen, ob es gelingt, die traditionellen Werte der Hoferhaltung mit den Anforderungen moderner landwirtschaftlicher Betriebsstrukturen in Einklang zu bringen und zugleich die Interessen aller Familienmitglieder angemessen zu berücksichtigen.

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